Finanz- und Industriestandort Schweiz: von 39% auf 15% Gemeinsam stark in turbulenten Zeiten
Basel, 20.11.2025 — Rede von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) anlässlich des Tags der Wirtschaft der Wirtschaftskammer BL
Sehr geehrte Damen und Herren,
Was für eine Woche! Und schon die Woche zuvor! Und die davor… Es sind turbulente Zeiten! Wie Sie wissen, bin ich letzte Woche kurzfristig nach Washington gereist. Nicht inkognito, sondern begleitet von Journalisten, die aber gar nicht im Flugzeug sassen. Sie haben zu Hause am Bildschirm auf einem sogenannten Flight Tracker unseren Flug live mitverfolgt. Ich stelle mir das unheimlich spannend vor. «Jetzt um 21 Uhr 19 sind sie gestartet. Jetzt – um 5 Uhr 21 sind sie gelandet.»
Den Newswert von all dem lasse ich Sie beurteilen. Ich kann diese Berichterstattung ja auch verstehen. Alle haben sehnlichst auf ein Resultat gewartet.
Und, meine Damen und Herren,
es waren für unser Land äusserst wichtige Verhandlungen, weil uns von Anfang an bewusst war, wie wichtig für unsere Wirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der EU-Konkurrenz ist. Die gemeinsame Absichtserklärung ist ein bedeutender Schritt – für unsere Exportunternehmen und für die Stabilität unserer Handelsbeziehungen. Die USA haben zugestimmt, die zusätzlichen Zölle auf 15% zu senken. Darüber hinaus konnten Ausnahmen für verschiedene Branchen vereinbart werden. Weitere Ausnahmen wollen wir im Rahmen der Verhandlungen für ein verbindliches Handelsabkommen aushandeln.
Wir sind uns einig: 15 % ist nicht ideal, aber es ist besser als 39%, und wir sind damit wieder konkurrenzfähig gegenüber Unternehmen aus der EU.
Mit diesem Resultat kann ich leben. Euphorisch bin ich aber nicht. Es geht schliesslich auch um viele Arbeitsplätze in der Schweiz!
Dieses Zwischenergebnis konnten wir nur im Team erreichen. Dank meinen Bundesratskolleginnen und -kollegen, den Spezialisten und Expertinnen der Bundesverwaltung – und vor allem dank des grossen Einsatzes der Schweizer Wirtschaft. Es waren also nicht nur die Personen, die man auf dem einen oder anderen Foto gesehen hat, sondern viele weitere Leute. Es war wie bei einem gelungenen Fussballspiel. Jeder hatte seine Rolle und jeder hat sie gut gespielt. Es gab rund um uns herum viel Zuspruch und Unterstützung. Auch hier aus der Region Basel haben sich viele Wirtschaftsvertreter aus allen Branchen gemeldet.
Wir alle zusammen haben dazu beigetragen, die Zölle zu senken. Wir alle sind das «Team Switzerland».
In diesem Zusammenhang war in den letzten Tagen oft vom Treffen von Schweizer Unternehmern bei Präsident Trump die Rede. Die Unternehmer informierten den US-Präsidenten über die Folgen, welche die hohen Zusatzzölle von 39 Prozent auf ihre und weitere Unternehmen haben.
Der Bundesrat war darüber informiert. Aber es war eine private Initiative von privaten Unternehmern, mit privaten Geschenken.
Apropos Geschenke:
Bitte erzählen Sie es nicht weiter, aber wir haben dem US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer letzte Woche Schokolade und sogar Fonduekäse mitgebracht. 😊
Wie geht es nun weiter?
Die neuen Zölle werden in den nächsten Tagen in Kraft treten. Wir sind zurzeit dabei, uns mit den US-Behörden abzustimmen. Auf unserer Seite ist alles bereit; die Prozesse auf amerikanischer Seite dauern etwas länger. Ein genaues Datum kann ich Ihnen deshalb heute Abend nicht nennen. Aber es ist absehbar.
Gleichzeitig beginnen nun, wie in der Absichtserklärung festgehalten, die Arbeiten für ein rechtsverbindliches Handels-abkommen.
Dafür werde ich dem Bundesrat so schnell wie möglich einen Entwurf für ein Verhandlungsmandat vorlegen.
Nach der Verabschiedung durch den Bundesrat wird es den aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments und der Konferenz der Kantonsregierungen zur Konsultation unterbreitet.
Meine Damen und Herren
In den Medien und vor allem in der Politik wird zur unverbindlichen Absichtserklärung viel behauptet, das nicht stimmt. Erlauben Sie mir deshalb, dass ich ein paar Dinge klarstelle:
Erstens:
«Fahren bald riesige amerikanische Cybertrucks oder Pickups auf unseren Strassen herum?»
Nein! Wir wollen im Rahmen der weiteren Verhandlungen eine Vereinfachung bei der Zusammenarbeit für die Einzelzulassung von amerikanischen Fahrzeugen in der Schweiz. Dabei geht es um die Anerkennung bestimmter US-Normen. Wer schon einmal ein Auto aus den USA importiert hat, weiss, was das heisst. Dabei geht es nicht um eine Übernahme von amerikanischen Vorschriften, und auch nicht um eine Verpflichtung zur Zulassung bestimmter Fahrzeugtypen.
Vereinfachungen sind auch in anderen Bereichen gefragt. Nehmen wir die Medizinalprodukte. Wenn sie in den USA für sicher erklärt werden, möchten wir prüfen, ob wir sie in der Schweiz wirklich noch einmal von A bis Z prüfen müssen. Dazu wurde schon vor einer Weile eine Motion im Parlament angenommen.
Zweite Klarstellung:
Werden wir bald sogenannte Chlorhühner essen müssen?
In der Schweiz ist chemisch behandeltes Geflügelfleisch nicht erlaubt, und daran ändert die Absichtserklärung nichts.
Sollten wir dies im Rahmen des Handelsabkommens ändern wollen, entscheidet dies das Parlament und bei einem Referendum schliesslich das Volk.
Wichtig wäre die Deklaration – wie es sie schon heute bei hormonell behandeltem Rindfleisch aus den USA gibt. Seit es diese Deklaration gibt, sind die Rindfleisch-Importe aus den USA von 800 Tonnen auf 250 Tonnen gefallen. Das zeigt: Am Schluss entscheidet der Konsument, was auf seinem Teller landet – und nicht der Bundesrat.
Und ganz ehrlich unter uns: Wenn Sie in den USA sind, fragen sie dann immer nach, ob der «Chicken Burger», das «Butter Chicken» oder das chinesische «Poulet-Süss-Sauer» aus chlorfreiem Poulet besteht? Sie sehen, da ist auch viel Heuchelei im Spiel.
Dritte Klarstellung:
Behauptet wurde auch, die Schweiz müsse Sanktionen und Investitionskontrollen der USA übernehmen.
Das ist falsch. Unsere Praxis bei der Umsetzung von Sanktionen bleibt unangetastet. Andere Länder haben sich verpflichtet, alle Sanktionen der USA automatisch verbindlich mitzutragen. Wir nicht. Wir haben diese Forderung erfolgreich abgewehrt. Wir entscheiden weiterhin autonom und souverän, wollen n diesen Bereichen wie in der Vergangenheit mit unseren wichtigsten Wirtschaftspartnern, also auch den USA, eng zusammenarbeiten.
Vierte und letzte Klarstellung:
Kann die Schweizer Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren 200 Milliarden in den USA investieren? Und bereits 2026 80 Milliarden?
Ja, das ist realistisch. Die Zahlen und Absichten haben wir von den Unternehmen selbst. Ein Beispiel sind Bauprojekte, die zum Teil bereits bewilligt wurden.
Sie sehen, da werden je nach politischer Couleur Dinge behauptet, die so nicht stimmen und das muss korrigiert werden.
Ich möchte Ihnen aber heute Abend nicht nur von den USA erzählen.
Es sind wahrlich turbulente Zeiten, in denen wir leben. Die Welt der letzten 30 Jahre, wie wir sie kannten, existiert so nicht mehr.
Die aktuellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen sind wesentlich komplexer. Die in dieser Woche erschienene Schnellschätzung für das vierteljährliche reale Bruttoinlandprodukt (BIP) zeigt, dass die schweizerische Wirtschaftsleistung im 3. Quartal 2025 um 0,5 % geschrumpft sein dürfte. Ein Grossteil des Effekts ist auf den starken Lageraufbau der pharmazeutischen Branche im Vorquartal zu erklären. Aber es gibt auch andere Gründe als die Zollsituation mit den USA. Generell ist die weltwirtschaftliche Verunsicherung im Moment sehr gross. Auch bei unseren Handelspartnern in der unmittelbaren Nachbarschaft sind die Probleme immens. Stichwort: Deutsche Autoindustrie. Zudem zeigen die protektionistischen Tendenzen, die im Zusammenhang mit dem Seilziehen zwischen den grossen Blöcken aufgeflammt sind, eine zunehmend bremsende Wirkung. Wir können dies beim Kampf um Computer-Chips oder seltene Erden beobachten.
In solch schwierigen Zeiten wissen wir, was wir tun sollten: uns auf unsere Stärken besinnen. Und über solche verfügt die Schweiz weiterhin.
Zahlreiche Analysen und Ratings bestätigen, dass die Schweiz in vielen Bereichen immer noch hervorragende wirtschaftliche Rahmenbedingungen bietet.
Mit ihrer Offenheit, Stabilität, vergleichsweise schlanken Regulierungen, einer verlässlichen Infrastruktur sowie einer hervorragenden Bildungs- und Forschungslandschaft bietet die Schweiz nach wie vor ein sehr gutes Umfeld für Investitionen und Innovation.
Und ich behaupte: Diese Qualitäten sind noch wichtiger geworden. Die rechtliche, ökonomische und politische Stabilität der Schweiz hat an Bedeutung gewonnen.
Dieses Erfolgsmodell müssen wir unbedingt weiter pflegen.
Wir sollten das Bewährte nicht vorschnell aufs Spiel setzen.
Wir sollten aber auch überlegen, wie wir Krisen aus Krisen lernen können, um besser zu werden und politische Reformen einzuleiten.
Tatsächlich gibt es Bereiche, in denen wir uns verbessern können und müssen.
Nehmen wir zum Beispiel die Regulierungsentlastung, die der Bundesrat bereits im Mai 2024 auf seine wirtschaftspolitische Agenda gesetzt hat.
In diesem Zusammenhang war das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Entlastung von Unternehmen von Regulierungskosten im letzten Jahr eine gute Nachricht. Dieses Gesetz zielt darauf ab, neue Regulierungsvorhaben zu vereinfachen. Es soll auch zusätzliche Entlastungsmöglichkeiten in bereits bestehenden Vorschriften aufzeigen. Entsprechende Studien werden im nächsten Jahr vorliegen.
Das derzeit schwierige internationale Umfeld veranlasst uns, dieses Gesetz noch offensiver umzusetzen.
Doch der Bundesrat will noch weiter gehen. Auf der Grundlage konkreter Vorschläge aus Wirtschaftskreisen und der Bundesverwaltung hat der Bundesrat die Departemente beauftragt, rasch administrative Erleichterungen für bestehende Vorschriften zu prüfen. Das Credo lautet: Jede Ablehnung eines Erleichterungsvorschlags muss detailliert begründet werden.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es Potenzial für administrative Erleichterungen gibt. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, brauchen wir dringend die Unterstützung der Wirtschaft und der Politik. Wir brauchen die Unterstützung durch das «Team Switzerland»!
Noch in diesem Jahr wird die Regierung über die nächsten Schritte entscheiden und informieren.
Zurück zur unmittelbaren Aktualität: Unsicherheit macht sich in unserer Wirtschaft breit. Viele Unternehmen befinden sich in einer sehr schwierigen Phase. Zum Glück stehen uns aber wirtschaftspolitisch bewährte Instrumente zur Verfügung.
Nehmen wir den Bereich der Arbeitslosenversicherung.
Im Oktober hat der Bundesrat die Höchtsbezugsdauer für Kurzarbeitsentschädigung (von 18) auf 24 Monate erhöht. Der Bundesrat hat eine entsprechende parlamentarische Initiative aufgenommen und den zusätzlichen Handlungsspielraum sogleich genutzt. Damit unterstützt er gezielt vor allem die exportorientierten Branchen und Unternehmen in der Schweiz.
Eine besondere Bedeutung kommt kurz- wie mittelfristig der geografischen Diversifizierung der Absatzmärkte und Lieferketten und damit der Exportförderung zu. Zentral ist sicher die Weiterentwicklung und Festigung der Beziehungen zur EU, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Eine wichtige Rolle spielt auch der weitere Ausbau, die Weiterentwicklung und die Pflege des umfassenden Netzes an Freihandelsabkommen.
Stichwort: Diversifizierung. Sie ist Teil einer langjährigen Strategie. Mit dem Abschluss neuer Abkommen mit Indien, Kosovo, Thailand, Malaysia und Mercosur und der Modernisierung bestehender FHA wie Chile und Ukraine konnte die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik in den letzten zwei Jahren wichtige Erfolge erzielen.
Zudem laufen Verhandlungen mit Vietnam und dem Vereinigten Königreich für neue Freihandelsabkommen. Mit China sind wir daran, das bestehende Freihandelsabkommen zu optimieren.
Aufgrund der aktuellen Situation hat übrigens auch Switzerland Global Enterprise (S-GE) ihr Angebot für exportorientierte Unternehmen erweitert. Ich hoffe, Ihnen sind diese Dienstleistungen bekannt.
Meine Damen und Herren
Es ist mir bewusst, viele Unternehmen stehen heute vor grossen Herausforderungen.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich, mein Departement und der Bundesrat – dass wir diese Herausforderungen ernst nehmen und gemeinsam mit den Akteuren der Politik und Wirtschaft angehen.
Ich bin überzeugt von der Widerstandsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. Wichtig ist, dass alle am selben Strick ziehen, denn es wird einen Effort von allen Seiten brauchen.
Bleiben wir pragmatisch in unseren Wirtschaftsbeziehungen und fokussieren auf unsere Interessen!
Verzichten wir auf wirtschafts-politische Schnellschüsse, die mehr Schaden als Nutzen bringen!
Arbeiten wir Hand in Hand an der regulatorischen Entlastung!
Nutzen wir die bewährten Instrumente und kämpfen weiterhin gemeinsam im Team Switzerland!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und stehe natürlich gerne für ein paar Fragen zur Verfügung.
