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MedienmitteilungVeröffentlicht am 9. Dezember 2025

«ICOS Cities»-Projekt abgeschlossen: Neue Ansätze für die Ermittlung der CO₂-Emissionen von Städten

Dübendorf, 09.12.2025 — Bisher liessen sich CO₂-Emissionen in einem Gebiet nur mithilfe von Emissionsinventaren berechnen. In der Stadt Zürich konnten sie nun verlässlich gemessen werden. Im Rahmen des europaweiten Forschungsprojekts «ICOS Cities» kamen Empa-Forschende mit einer neuen Messmethode den bisher berechneten Werten erstaunlich nahe.

Zürich

Die Stadt Zürich möchte bereits bis 2040 Netto Null bei ihren Treibhausgasemissionen erreichen. Für verlässliche Emissionsdaten stützt sie sich – wie viele Länder oder Städte – bisher auf sogenannte Emissionsinventare. Diese funktionieren wie eine Art Buchhaltung, in der die gesamten Emissionen aus einzelnen Quellen mit sogenannten Aktivitätsdaten wie Erdgasverbrauch und den jeweiligen Emissionsfaktoren berechnet werden. Nun kann die Stadt Zürich ihre CO2-Emissionen, die einen zentralen Teil der gesamten klimawirksamen Treibhausgasemissionen ausmachen, erstmals auch direkt beobachten. Im EU-Projekt «ICOS Cities» setzen Empa-Forschende dazu ein Netz aus Hightech-Sensoren und komplexe Modelle ein, um die Emissionen präzise zu bestimmen.

Die ersten Resultate bieten der Stadt einen neuen Ansatz zur Erhebung der CO2-Daten aus allen Quellen auf dem Stadtgebiet. «Unsere Messungen liefern eine unabhängige und schnellere Methode, CO2-Emissionen zu beobachten. Das ist zentral, um zu erkennen, ob Klimaschutzmassnahmen tatsächlich in der Atmosphäre sichtbar werden», sagt Lukas Emmenegger, Leiter des Empa-Labors «Luftfremdstoffe / Umwelttechnik» und wissenschaftlicher Projektleiter für Zürich im «ICOS Cities»-Projekt.

Sensoren in der ganzen Stadt

Seit Sommer 2022 erfasst die Empa in Zürich kontinuierlich den Austausch von CO2 zwischen Stadt und Atmosphäre. Im Rahmen von «ICOS Cities» wurde ein CO₂-Messnetz mit 60 Standorten verteilt über das gesamte Stadtgebiet aufgebaut. Kompakte Messgeräte hängen an Strassenlaternen und Bäumen von Uetliberg bis Irchel. Zudem installierten die Empa-Forschenden rund 20 Instrumente mit präziseren Messungen an Mobilfunkantennen. Neben dem dichten Messnetz mit CO₂-Sensoren der Empa wurde auf einem Hochhaus ein spezielles Messsystem der Universität Basel installiert. Es erfasst gleichzeitig CO₂ und Wind rund zehn Mal pro Sekunde. «Aus diesen Messungen können wir die Emissionen direkt bestimmen, allerdings nur für eine Umgebung von etwa einem Kilometer um das Hochhaus herum», erklärt Modellier-Experte Dominik Brunner von der Empa.

Die mehrjährigen Messreihen bilden die Basis für die Emissionsabschätzung. Sie müssen aber kombiniert werden mit atmosphärischen Transportmodellen. Denn punktuelle Messungen der CO₂-Konzentration sagen noch nicht viel über die tatsächlichen Emissionen aus: Vom Ursprung der Emissionen bis zu den Messstandorten wird das freigesetzte CO2 mit der Umgebungsluft transportiert und vermischt. Zudem müssen fossile Emissionen vom natürlichen CO₂-Kreislauf in der Atmosphäre unterschieden werden. Nicht nur die Wälder, Pflanzen und Böden rund um die Stadt «atmen» täglich grosse Mengen Kohlendioxid ein und aus – die Stadtbevölkerung trägt mit ihrer Atmung ebenfalls bei, rund zehn Prozent der gemessenen CO₂-Emissionen.

Sensoren

CO₂-Emissionen auf der Spur

Die Messgeräte erfassen letztlich die Summe vieler verschiedener CO2-Quellen. Damit sich aus diesen Messdaten die stadtweiten CO₂-Emissionen möglichst präzise bestimmen lassen, fliessen sie in verschiedene Modellierungen ein. Die Empa hat dafür mit Unterstützung der Projektpartner drei unterschiedliche Modelle entwickelt und miteinander verglichen. Das komplexeste dieser Modelle (ICON-ART) basiert auf einem Wettermodell, wie es auch MeteoSchweiz nutzt. Es bildet die zentralen Prozesse in der Atmosphäre ab und zeigt, wie CO₂ in der Stadt emittiert, transportiert und durchmischt wird – mit einer räumlichen Auflösung von rund 500 Metern in einer grösseren Region um Zürich. Ein weiteres Modell (GRAMM/GRAL) simuliert die Strömung bis auf Gebäudeebene. Damit lassen sich Emissionen innerhalb der Stadt besonders fein strukturieren. «Dieses Modell ist physikalisch einfacher, erlaubt aber eine sehr hohe Detailtiefe», erläutert Brunner. Die dritte Methode (Eddy Fluss) funktioniert grundlegend anders: Sie nutzt nicht die CO2-Konzentrationswerte der üblichen Sensoren, sondern die speziellen Emissionsmessungen auf dem Hochhaus und bestimmt mithilfe eines Ausbreitungsmodells für jeden Zeitpunkt, wo diese Emissionen freigesetzt wurden. «Der Vorteil ist klar: Wir messen den Emissionsfluss direkt. Dafür erfasst diese Modellierung nur ein begrenztes Gebiet der Stadt», so der Empa-Forscher.

Trotz unterschiedlicher Ansätze beruhen alle drei Methoden auf atmosphärischen Beobachtungen und führen zu einem konsistenten Befund. «Es hat mich selbst erstaunt, wie nahe die drei Methoden beieinander liegen», sagt Brunner. «Das Emissionsinventar dürfte leicht zu hoch angesetzt sein. Das muss sich mit künftigen Daten aber noch bestätigen.»

Emissionen

Vorreiterin in der urbanen Emissionsüberwachung

Die Stadt Zürich verfügt bereits heute über eines der fortschrittlichsten Emissionsinventare Europas. Anders als viele andere Städte bricht die Stadt Zürich ihre fossilen Emissionen nicht nur nach Sektoren wie Industrie, Haushalte oder Verkehr auf, sondern räumlich bis auf einzelne Strassenabschnitte oder sogar Gebäude herunter. Die Gesamtbilanz weist neben den CO2-Emissionen auch weitere klimawirksame Treibhausgasemissionen aus wie Methan, Lachgas und fluorierte Gase. Durch die Kombination des statistischen Emissionsinventars mit gemessenen CO2-Echtzeitdaten aus der Atmosphäre kann Zürich nun genau erkennen, wo Minderungsmassnahmen bereits greifen – oder wo das Inventar nachjustiert werden muss. «Die Resultate helfen der Stadt, ihr Inventar zu optimieren. Inventare sind grundlegend, doch atmosphärische Messungen ermöglichen es, die CO2-Bilanz unabhängig zu prüfen und sicherzustellen, dass die Realität möglichst gut abgebildet wird», sagt Emmenegger.

Nach der dreijährigen Pilotphase von «ICOS Cities» plant die Stadt Zürich, dieses fortgeschrittene Monitoring langfristig in ihre Klimastrategie zu integrieren. «Es ist eindrücklich, wie nahe die Empa-Modelle an die CO2-Werte unserer Klimabilanz kommen», sagt Sabine Marbet von der Stadt Zürich. «Wir prüfen darum, wie wir künftig den Ansatz von ICOS nutzen können, um Treibhausgasemissionen unabhängig zu verifizieren und rasch, dynamisch und kleinräumig zu erheben». Damit gehört Zürich zu den ersten Städten Europas, die Emissionsinventare und atmosphärische Beobachtungen in dieser Form kombinieren möchten.

ICOS Cities

«ICOS Cities» ist eine zentrale Initiative des Integrated Carbon Observation System (ICOS) und liefert präzise wissenschaftliche Daten zu Treibhausgaskonzentrationen und -flüssen in urbanen Räumen als Grundlage für ein langfristige Überwachung. Zürich ist – neben Paris und München – eine der Pilotstädte, in denen diese Monitoring-Systeme der nächsten Generation aufgebaut und getestet werden. ICOS selbst ist eine europäische Forschungsinfrastruktur, die den Kohlenstoffkreislauf und dessen Beeinflussung durch menschliche Aktivitäten untersucht. Aktuell sammelt ICOS standardisierte, frei zugängliche Daten von mehr als 180 Messstationen in 16 europäischen Ländern. Die Schweiz beteiligt sich mit Stationen auf dem Jungfraujoch und in Davos. Mit «ICOS Cities» sollen die drei bestehenden Schwerpunkte von ICOS – Atmosphäre, Ozeane und Ökosysteme – um Städte als wichtige CO₂-Emittenten erweitert werden. ICOS Schweiz setzt sich aus den Institutionen ETH Zürich, Empa und WSL, den Universitäten Bern und Basel sowie MeteoSchweiz zusammen.

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Informationen

Dr. Lukas Emmenegger
Luftfremdstoffe / Umwelttechnik
Tel. +41 58 765 46 99
lukas.emmenegger@empa.ch